Marie Leinpinsel
Flötistin, Komponistin, Schriftstellerin

Das Café der Wünsche

Es war ein kühler Dezembernachmittag kurz vor Weihnachten. Um mich herum leuchtete alles in festlichem Glanz von Rot über Grün bis zu Gold. Mein Gesicht war bis auf die Augen in mehrere Lagen Stoff gewickelt und trotzdem spürte ich schon die ersten Anzeichen einer großen Niesattacke kommen. Auch meine Beine begannen wegen der Kälte schon zu zittern, obwohl ich unter der Skihose eine Hose und eine Thermoleggings trug. Auch wenn das alles nicht besonders klang, so würde dieser Tag mein Leben für immer verändern.
Wie jedes Jahr hatte ich eine schwere Erkältung mit laufender Nase, schwerem Schniefen und viel Niesen, so wie es für uns Zwerge normal war. Es begann immer Mitte August mit einem heftigen Schütteln, dass tief aus den Zehen einmal durch den ganzen Körper bis in die Nase kribbelt und man sich nicht mehr zurückhalten kann und zu niesen beginnt.
Seit ich vor knapp vier Jahren bei der Arbeit Felia, eine sehr euphorische Wichtelin, die immer auf der Suche nach einer neuen Aufgabe ist, kennengelernt hatte, probierten wir jedes Jahr etwas Neues für mein kleines Gesundheitsproblem aus. Letztes Jahr hatte sie mir verboten, meinen heißgeliebten Cappuccino zu genießen und mich gezwungen, täglich mindestens einen Liter kochend heißen Ingwertee zu trinken. Leider endete dieses Experiment recht schnell, da wir herausfanden, dass Ingwer bei Zwergen auf Dauer zu hohem Tränenfluss führte. So hatte ich über den gesamten November das Problem, dass meine Augen permanent tränten und gerötet waren. Felia tat diese Nebenwirkung natürlich ungemein leid und so hatte sie mir versprechen müssen, sich für dieses Jahr etwas zur Wiedergutmachung zu überlegen. Doch erst Ende Oktober, ich saß gerade mit einer Tasse frischem Cappuccino und einem Zimtstern vor meinem Computer, hatte sie mich auf ihr neues Experiment angesprochen.
„Guten Morgen, Alrik, du bist aber früh!“
„Morgen, Felia! Du bist dafür ziemlich knapp, die Kaufhausunterlagen liegen schon auf deinem Schreibtisch.“
Ich wollte mich gerade wieder meinem Kaffee und der noch offenen Rechnung vor mir widmen, da drehte Felia sich noch einmal um.
„Rik? Ich wüsste jetzt übrigens, was wir gegen deinen jährlichen Schnupfen tun können.“
Panisch sprang ich auf.
„Nein, nein. Schon gut, dieses Jahr ist es gar nicht so schlimm!“
Felia betrachtete mich mit einer Mischung aus Mitleid und Frustration.
„Ich verstehe, dass du nach letztem Jahr etwas argwöhnisch bist, aber ich verspreche dir, dass es dieses Jahr keine Nebenwirkungen geben wird! Dieses Mal wird es klappen und…“
Ich schüttelte so heftig den Kopf, dass sie sich unterbrach und mich streng ansah.
„Außerdem ist es noch nicht so schlimm, weil wir noch immer über 15 Grad draußen haben, sobald es aber kälter wird und der Frost einsetzt, wird es die wieder schlechter gehen! Bitte!“
„Felia, ich weiß, dass du es wirklich nur gut meinst, aber das ist eine zwergentypische Krankheit, mit der ich mich langsam abfinden sollte. Wir müssen jetzt auch weiterarbeiten, heute soll einer der Menschen aus der Chefetage zur Kontrolle kommen.“
„Schön, wie du meinst, aber dieses Gespräch ist noch nicht vorbei! Hast du eigentlich Romas gesehen? Ich muss mit ihm noch den Weihnachtsverkaufsplan durchgehen, nächste Woche müssen alle Regale gepackt sein.“
In Gedanken schon bei der Rechnung schüttelte ich den Kopf und hörte Felia zu ihrem Schreibtisch gehen.
Tatsächlich sprach sie das Thema den gesamten November nicht mehr an. Als es im Dezember aber zu einem abrupten Temperaturfall kam und ich täglich fast eine gesamte Packung Taschentücher vernichtete, hielt sie es nicht mehr aus.
„Rik, wir müssen wirklich was tun! Du kannst kaum arbeiten, du bist nur mit Niesen und Nase putzen beschäftig! Außerdem hast du schon letztes Jahr eine Verwarnung bekommen, dass du unbedingt dein Pensum einhalten musst…“
Ich unterbrach sie mit einer Handbewegung, wurde aber von einem erneuten Niesen von einer Antwort abgehalten.
„Okay, ganz ehrlich?! Du kommst am Samstag um halb vier zu dieser Adresse, ob du willst oder nicht!“
Sie reichte mir einen Zettel, schaute mich mit einem strengen Blick an und marschierte davon. Ich warf nur einen kurzen Blick auf den Zettel, bevor ich mich wieder frustriert der Vernichtung weiterer Taschentücher widmete.
Obwohl ich nicht vorhatte, Felia an dieser Adresse zu treffen, hatte mich ein abendlicher Fieberanfall mit starkem Schüttelfrost an meine aussichtslose Lage erinnert und so war ich nun auf dem Weg. An der nächsten Kreuzung schaute ich auf die Straßenschilder und atmete erleichtert auf, es war die richtige Straße, nun musste ich nur noch die 36b finden.
Fast wäre ich an dem nach hinten verlagerten Treppenabgang vorbei gegangen. Nur aus dem Augenwinkel hatte ich eine sechs wahrgenommen. Vorsichtig stieg ich die rutschigen Stufen hinab und hielt vor einer Tür, über der in rot-goldener Schrift „Café der Wunder“ stand. Überrascht öffnete ich die Tür und huschte in die Wärme. Zufrieden blieb ich im Eingang stehen, viel länger wäre die Kälte nicht aushaltbar gewesen, und nahm die Umgebung in mich auf. Das Café war nicht besonders groß, bot aber doch eine angenehme Anzahl an Sitzplätzen, die fast alle besetzt waren. Das Herzstück bildete eindeutig die große Theke in der Mitte, auf der mehrere Kaffeemaschinen, Wasserkocher und verschiedene Sirupe aufgebaut waren. Staunend betrachtete ich das rege Geschehen darum.
Mit einem leisen Klingeln ging hinter mir die Tür auf und ein eisiger Windstoß fegte herein. Diese plötzliche Kälte gab mir den Rest und ich konnte nichts gegen das aufkommende Niesen tun. Eine Hand legte sich auf meine Schulter und im Augenwinkel erkannte ich Felia, die mir hoffnungsvoll zulächelte.
„Hallo Rik, wie schön, dass du wirklich gekommen bist! Komm, ich bringe dich an die Theke.“
Sie führte mich langsam um die Tische herum zur Theke, an der noch genau zwei Plätze frei waren. Angestrengt kletterte ich auf den Stuhl und kramte hektisch in meiner Jackentasche nach neuen Taschentüchern, um mich für die nächste Welle an Niesern zu widmen.
„Hallo ihr zwei, ihr seid neu hier! Ich bin Mnrva, aber sagt ruhig Reva, dass ist leichter zu merken.“
Vor uns stand eine wunderschöne Frau, die uns herzlich anlächelte. Ich wollte mich ihr gerade vorstellen, als mich ein erneutes Kribbeln in der Nase davon abhielt. Als mein mehrfaches Niesen ein Ende fand, betrachtete Reva mich nachdenklich.
„Da ihr noch nicht hier wart, vermute ich, dass deine Kälteempfindlichkeit der Grund für euer Kommen ist?“
Glücklicherweise antwortete Felia für mich, da sich schon wieder ein unangenehmes Gefühl in meiner Nase ausbreitete.
„Ja, das stimmt. Wir sind wegen Riks Krankheit hier, weil einfach nichts bisher geholfen hat. Weder Obst, Medikamente oder mehrere Schichten Kleidung helfen. Noch nicht einmal Ingwertee sorgt für Besserung…“
Reva schaute uns mit großen Augen an und brach in ein herzhaftes Lachen aus.
„Oh nein, ihr habt Ingwertee probiert?! Zwerge reagieren überhaupt nicht gut auf Ingwer! Du als Wichtel müsstest das eigentlich gelernt haben!“
Felia starrte irritiert auf die immer noch schmunzelnde Reva.
„Ich habe leider nie die Wichtelausbildung durchlaufen, zu der Zeit waren es einfach zu viele, sodass es nur wenige Plätze gab…“
„Ah, ich verstehe. Wie dem auch sei, ich weiß genau das Richtige für dich, lieber Zwerg.“
Ich wollte ihr gerade antworten, als mich erneut das Niesen davon abhielt. Reva wirbelte geschäftig zu einer der Kaffeemaschinen und bereitete alles vor, was man für einen Cappuccino benötigte, was mir kurz ein zufriedenes Lächeln auf die Lippen zauberte. Als sie jedoch einen Mixer aus einem der Unterschränke hervorzog, hob ich argwöhnisch eine Augenbraue.
„Felia, wie bist du eigentlich… TSCHIE…auf dieses Café aufmerksam geworden?“
Immer noch vom Niesen geschüttelt, bemerkte ich erst gar nicht, dass Felia mir nicht antwortete, sondern fasziniert das Geschehen beobachte. Eine Bewegung zu meiner linken Seite lenkte mich ab, sodass ich mich von Felia wegdrehte. Beim Anblick meines Sitznachbarn wäre ich vor Schreck fast vom Stuhl gefallen. Dort saß ein ca. 1,90 Meter großer Golem und trank etwas, dass nach schwarzem Kaffee mit irgendwelchen roten Stückchen darin, aussah.
Trotz meines Schreckens übernahm das Kribbeln in meiner Nase wieder die Oberhand und ich sackte immer weiter in meinem Stuhl zusammen.
„Ist bei Ihnen alles in Ordnung? Sie sehen gar nicht gut aus!“
Der Golem hatte sich mir zugewandt und schaute mich, wenn man es überhaupt so nennen konnte, besorgt an. Ich schüttelte nur angestrengt den Kopf, aber er beobachtete mich weiterhin, während ich mich vom Niesen krümmte und schüttelte.
„So, mein Lieber, hier hätten wir dein Getränk.“
Erleichtert wollte ich die dampfende Tasse für einen großen Schluck ansetzen, jedoch hielt mich der Anblick des Inhalts zurück. Auf dem weißen Milchschaum war etwas braunes, ich vermutete Zimt, mit einem roten Pulver zu einem kunstvollen Schwan verstreut. Wäre es nur dieses unbekannte Pulver, hätte ich ohne zu zögern einen großen Schluck genommen, aber unter dem Schaum blitze eine grün-schwarze Flüssigkeit hervor, die mich an der Genießbarkeit des vor mir stehenden Getränks zweifeln ließ.
„Entschuldigung Reva, …TSCHIE…, was genau ist das?“
Mein Blick sah anscheinend sehr verstört aus, sodass sie wieder ihr breites Grinsen zeigte.
„Das ist ein Cappuccino mit Erbsenpürree und einer Mschung aus Zimt und Chilipulver. Gib mir einen Moment, ich bin gleich wieder da.“
Reva drehte uns den Rücken zu und eilte zur anderen Seite der Theke, wo mehrere Faune standen und ihre Bestellung aufgeben wollten.
„Oh Rik, es tut mir leid, ich dachte, dass sie dir etwas appetitlicheres servieren würde.“
Felia schaute mich zerknirscht an und ich musste grinsen.
„Alles gut, du willst mir ja nur helfen. Aber dieses Getränk oder wie man es sonst bezeichnet, werde ich ganz sicher nicht zu mir nehmen!“
Sie nickte erleichtert und warf mir einen verständnisvollen Blick zu.
„Entschuldigung, dass ich mich einmische, aber ich würde an ihrer Stelle nicht warten, bis der Cappuccino kalt ist. Auch wenn es nicht unbedingt lecker klingt, so serviert Reva niemals etwas ohne Absicht. Und seit ich sie kenne, hat sie noch nie falsch gelegen!“
Ich drehte mich wieder zu dem Golem und schaute ihn skeptisch an.
„Ich möchte ihnen ja nicht widersprechen, ich habe Reva ja eben erst kennengelernt, aber ich kann mir wirklich nicht vorstellen, was Erbsenpüree in Cappuccino bewirken soll!“
Der Golem lachte ein leises brummendes Lachen.
„Das kann ich verstehen, mir ging es damals ähnlich! Wissen Sie was, Herr Zwerg, ich erzähle Ihnen meine Geschichte und danach werden sie mit großer Wahrscheinlichkeit dieses Getränk probieren!“
Ich wollte widersprechen, aber ein erneutes Niesen hielt mich davon ab, was der Golem fälschlicherweise als Einwilligung verstand und zu erzählen begann.
„Vor rund 500 Jahren wurde ich von einem machthungrigen Zauberer namens Vect aus Lehm erschaffen. Ich sollte für ihn mehrere Dörfer zerstören und die Bewohner dazu bewegen, die erhöhten Steuern zu zahlen. Wer der Aufforderung nicht nachkam, musste die Konsequenzen tragen. So zerstörte ich mehrere Dörfer bis auf die Grundmauern, gezwungen und gefangen durch den Willen des Zauberers, der mich erschaffen hatte. Er verbreitete überall Angst und egal wo man mich sah, brach blankes Entsetzen aus.“
Der Golem schaute traurig zu Boden. Mittlerweile doch neugierig beugte ich mich zu ihm und legte meine Hand auf seine Schulter.
„Erzählen Sie bitte weiter!“
Der Golem richtete sich wieder auf, nahm einen Schluck aus seiner Tasse und erzählte weiter:
„Vect wurde immer größenwahnsinniger und so reisten wir von Reich zu Reich und zerstörten Dorf um Dorf. Eines Tages sollte ich jedoch eine kleine Siedlung angreifen, in der mehrere Bauernfamilien und ein Zauberer lebten. Dieser Zauberer, er hieß Hagen, schaffte es, mich zu bannen. Dadurch löste er die Verbindung zu Vect und befreite mich in gewisser Weise, da Golems nur von ihren Erschaffern wieder in ihren Ursprung gebracht werden können. Im Geist war ich also frei, dafür war mein Körper erstarrt. So verbrachte ich mehrere Jahrzehnte als Zeichen des Sieges und der Vorsicht am Rande der Siedlung, die immer weiterwuchs. Ungefähr 1610 kam Reva dann in dieses Dorf. Jeden Abend schlich sie sich heimlich zu mir, erzählte von ihren Reisen und studierte mich. Nach einer Weile kam sie dann eines Abends mit Feuerholz, einem Kessel, einer komischen Bohne und mehreren Gewürzen. Sie bereitete mir daraus ein Getränk zu, dass sie mir tröpfchenweise in den Mund gab. Erst spürte ich nichts, aber je mehr ich von diesem Getränk in mir hatte, desto beweglicher wurde mein Körper. Reva hat es mit diesem Getränk geschafft, mich aus der Erstarrung zu befreien und mir die Möglichkeit eines Lebens geschenkt.“
Ich starrte ihn mit großen Augen an und konnte es kaum glauben.
„Das kann nicht wahr sein! Ein einfaches Getränk? Was hat sie dir gemixt?“
Der Golem lachte wieder sein tiefes Gebrumme und schaute mich an:
„Es ist ein Kakao mit Chili, Zimt, Kardamom, Rosmarin, Nelken und Bananenschale.“
Ich verzog das Gesicht, was ihn noch mehr zum Lachen brachte. Nachdenklich drehte ich mich wieder zu meiner Tasse. Das grün der Erbsen war nun deutlicher zu sehen und ich schüttelte fassungslos den Kopf. Als ein weiteres Kribbeln in meiner Nase entstand, konnte ich es kaum glauben, dass ich die Tasse in die Hand nahm und zielstrebig zu meinem Mund führte. Langsam kippte ich und spürte die leichte Wärme des sonderbaren Cappuccinos über meine Lippen gleiten. Schnell schluckte ich, aus Angst, dass ich die Flüssigkeit ausspucken würde, aber merkwürdigerweise, war es gar nicht schlimm. Die feine Milchnote mischte sich perfekt mit dem Erbsenpüree und war durch den zimtigen Kaffee ergänzt, der durch das Chilipulver im Abgang perfekt abgerundet wurde. Begeistert nahm ich noch einen Schluck.
„Wie ich sehe, hast du dich getraut, den Cappuccino zu probieren.“
Reva grinste mich hinter der Theke an und ich lächelte zurück.
„Magst du mir erzählen, wie du auf diese Mischung gekommen bist?“
Sie nickte:
„Ich habe vermutet, dass du Cappuccino bevorzugst, dazu habe ich mich für Erbsen entschieden, da sie viel Magnesium, Eisen, Kalzium und Zink enthalten. Das Chilipulver bietet dazu noch Vitamin C und der Zimt ist für die Verdauung. Wie ich sehe, wirkt es schon.“
Und Reva hatte recht, seit ich den ersten Schluck genommen hatte, war das Kribbeln in meiner Nase verschwunden und mir war wohlig warm.
Seit diesem Abend gehe ich regelmäßig in das Café der Wünsche und lerne immer wieder neue Wesen und deren faszinierende Geschichten kennen.
Nur eine Frage, konnte ich bisher nicht beantworten: Woher wusste Reva, was uns allen helfen würde?

 Geschrieben von Marie Leinpinsel


Wie es zu den Noten kam

Es war einmal eine kleine Note. Ihr Name lautete „A". Sie hatte einen kleinen Bruder namens „As" und eine große Schwester namens „Ais". Alle drei konnten einen wun-dervollen glockenklaren Ton singen, jedoch immer nur einzeln, da die drei Töne zu-sammen sehr schief klangen. Und so hörte man immer nur eine Note singen.
Eines Tages fragte sich „A" jedoch:
„Warum jeden Tag,
obwohl singen ich doch mag!
Doch ich will etwas anderes Mal erleben,
sollte ich danach streben?
Liebe Schwester, sag du es mir,
soll ich gehen oder bleib ich hier?"
„Meine liebe Schwester, dass weiß ich nicht,
höre auf dich und folge dem Licht!"
Und so machte sich die kleine Note auf den Weg, etwas Neues zu entdecken. Sie wanderte lange und weit und fand etwas Unglaubliches! Zuerst hörte sie es, einen wundervollen Ton! Danach erblickte sie es. Es war eine kleine Note!
„Stark und hell und glockenklar,
dein Ton, der klingt ganz wunderbar!"
Da hörte die andere kleine Note auf und drehte sich erstaunt um:
„Nanu,
wer bist denn du?
Sag mir,
bist du etwa von hier?"
„Nein, ich komme nicht von hier,
ich bin weit gereist und jetzt bin ich bei dir!"
Die andere kleine Note lachte erfreut und stellte sich vor:
„Ich bin „C"."
„Nun gut, „C", verrate mir,
hast du Geschwister bei dir?"
„C" erzählte der kleinen Note „A", dass sie einen kleinen Bruder, „Ces", und eine große Schwester namens „Cis" habe. Sie gingen gemeinsam zu den beiden. „C" er-zählte auf dem Weg, dass sie und ihre beiden Geschwister nie zusammen singen konnten, da es dann immer sehr schief klingt. Darauf antwortete „A" direkt:
„Oh nein,
das kann doch nicht sein!
Bei uns ist es gleich,
wenn wir singen ist es schief und nicht ertragreich!"
„C" und „A" unterhielten sich noch eine Weile, bis sie bei „C"'s Geschwistern anka-men. Diese wollten natürlich gleich wissen, wer die kleine Note neben ihrer Schwes-ter war und so stellte „C" ihnen „A" vor. Die Geschwister waren sehr aufgeregt, da sie genau wie „A" noch nie eine andere Note getroffen hatten.
Doch nach einer Weile meinte „A":
„Es tut mir sehr leid,
doch ich bin noch nicht sehr weit!
Ich möchte weiter gehen
und noch sehr viel mehr sehen!"
Da waren „C", „Cis" und „Ces" sehr traurig und „C" entschloss sich, mit der kleinen Note „A" mitzugehen. Sie verabschiedeten sich und gingen.
Nach einer ganzen Weile hörten sie plötzlich ganz viele Töne. Manche klangen gut, manche waren sehr schief. „A" und „C" schauten sich aufgeregt und erwartungsvoll an. Als sie um die Kurve bogen, sahen sie es! Ganz viele Noten sprangen auf einer Wiese umher und trällerten ihren Ton vor sich hin. So etwas hatten die beiden klei-nen Noten noch nie erlebt, dass so viele Töne gleichzeitig in der Luft hingen und es niemanden störte, wenn es schief klang. Voller Erwartung liefen sie auf die Wiese und sangen mit. Doch plötzlich verstummten alle, außer „A" und „C".
„Was hören wir da?
Hurra, hurra!
Zwei neue Töne haben wir jetzt,
sind wir dann vollbesetzt?"
So ging es noch eine ganze Weile. Kurz darauf fingen sie an, sich alle gegenseitig vorzustellen. Da gab es „D", „E", „F", „G" und „H" mit ihren Geschwistern. Im An-schluss sagten „A" und „C" noch wie sie hießen und dass sie ebenfalls Geschwister hätten. Nach dieser Nachricht waren die ganzen Noten sehr aufgeregt, da sie alle gerade erst erfahren hatten, dass es so viele von ihnen gab.
Eine Ewigkeit später hatten sie alles geklärt und beschlossen, gemeinsam loszuzie-hen und die Geschwister von „A" und „C" abzuholen. Freudig wanderten sie los und keine Sekunde später erklangen auch schon die ersten Töne.
Als sie „Ces", „Cis", „As" und „Ais" abgeholt hatten, beschlossen sie, auf ewig zu-sammen zu bleiben und zu singen!
Doch plötzlich hörten sie leise Schritte, die immer näher kamen. Erschrocken ver-steckten sich die kleinen Noten. Doch kurze Zeit später entpuppten sich die Schritte zu einem jungen Wandersmann, der entschlossen den Weg lang marschierte. Er-leichtert kamen die kleinen Noten wieder aus ihren Verstecken, da sagte der Wan-dersmann:
„Was seid denn ihr?"
Darauf antworteten die Noten empört:
„Du kennst uns nicht junger Mann?"
„Nicht, dass ich wüsst! Obwohl, der Meister meint, es gäb kleine schwarze Wesen mit wundervollen Stimmen!"
Plötzlich riss der Wandersmann seine Augen auf.
„Seid ihr etwa die kleinen Noten?"
„Ja, wir sind's!"
Da bat der junge Mann um eine Kostprobe ihrer wundervollen Töne. Dies ließen sich die Noten nicht zweimal sagen und sie sangen!
Es waren zwar manchmal wunderschöne Töne, doch oft kamen schiefe Klänge zum Vorschein.
„Oh ja, schöne Stimmen sind das wahrhaftig, doch wenn ihr zusammen singt, klingt es gar schief! Ich will euch helfen!"
Er zeigte auf eine kleine Note und meinte, sie solle singen. Nachdem er sich alle an-gehört hatte, sortierte er sie nach Klängen und so entstand die erste chromatische Tonleiter!
Nach diesem Zusammentreffen, waren die kleinen Noten sehr aufgeregt und probier-ten noch sehr lange aus, welche Note mit wem gut zusammenpasste. Für die ver-schiedenen zusammen erklingenden Töne dachten sie sich Namen aus. So entstan-den zum Beispiel die Prime, die Terz und noch viele andere Intervalle.
Einige Jahre später waren die kleinen Noten und der Wandersmann sehr gute Freunde geworden. Bei einem Treffen wollten die kleinen Noten eine Überraschung, die nur für ihn vorbereitet worden war, als Dank ihm geben.
„Lieber Wandersmann
du hast gelöst unsern schiefen Bann!
Dank dir klingt es gut
und wir haben neuen Mut!
So wollen wir die danken
mit einem musikalischen Gedanken!"
Und was der Wandersmann dann zu hören bekam, war einzigartig. Es war eine Mi-schung aus allen uns bekannten Musikrichtungen. Die kleinen Noten hatten es ge-schafft, als große Gemeinschaft ein eigenes Stück zu schreiben. Dies war das wun-derbarste Stück, das der Wandersmann je gehört hatte, so dass es ihm die Sprache verschlug.
Durch das anregende Stück der kleinen Noten dachte der Wandersmann sich eine Schreibweise aus, damit jeder später nach Noten spielen könne. Dabei erfand er den Bass- und den Violinschlüssel, um die Noten bei ihrem gemeinschaftlichen Singen zu unterstützen.

Geschrieben von Marie Leinpinsel